Dieter Axmann
Fachanwalt & Strafverteidiger
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Eine Strafkammer kann nicht ohne Weiteres aus der vom Gutachter festgestellten Pädophilie des Angeklagten auf verminderte Schuldfähigkeit schließen. Vielmehr muss die Pädophilie dafür die Persönlichkeit nachhaltig prägen und zu einem starken Zwang führen. Der BHG bemängelte auch, dass die Richter von der Sicherungsverwahrung abgesehen hatten: Das widersprach der Empfehlung des Sachverständigen, deshalb hätten sie sich viel genauer mit dem Gutachten auseinandersetzen müssen.
Wegen schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern (§ 176c StGB) in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) und der Herstellung kinderpornografischer Schriften (§ 184 StGB) hatte das Landgericht Bückeburg einen Mann zu einer Haftstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hatten die Richter ebenso verzichtet wie auf die direkt angeordnete (§ 66 StGB) oder vorbehaltene (§ 66a StGB) Sicherungsverwahrung. Die Staatsanwaltschaft legte Revision beim Bundesgerichtshof ein.
Der Angeklagte hatte die zwei Kinder seiner Lebensgefährtin über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Das ältere Mädchen war bei Beginn der Taten sieben, am Ende zwölf Jahre alt. Ihr jüngerer Bruder war bei Beginn vier und am Ende neun. Die Mutter der Kinder war an den sexuellen Handlungen beteiligt, in einigen Fällen ging die Initiative von ihr aus.
Allerdings waren nicht alle der Vorkommnisse Gegenstand des angegriffenen Urteils. Dieses bezog sich nur noch auf sexuelle Handlungen im letzten Jahr des Missbrauchs. In dieser Zeit hatte der Angeklagte in über 50 Fällen Oralverkehr mit dem damals zwölfjährigen Mädchen, in mindestens drei Fällen auch Geschlechtsverkehr. Zudem machte er kinderpornografische Aufnahmen von ihr, veranlasste den Jungen zum Oralverkehr an sich und beide Kinder zum gegenseitigen Geschlechtsverkehr.
Der psychiatrische Sachverständige hatte dem Angeklagten Allgemeingefährlichkeit attestiert. Das hatten die Bückeburger Richter anders gesehen. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass die Mutter der Kinder ihrem Partner eine Art Freibrief für die Übergriffe erteilt habe. Außerdem sei der Mann nicht vorbestraft und zeige Reue und Therapiebereitschaft. Auf die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verzichteten die Richter am Landgericht ebenso wie auf die Sicherungsverwahrung.
Nach Ansicht des sechsten Senats des BGH war das ein Rechtsfehler. Die BGH-Richter bemängelten, dass in der Urteilsbegründung eine genaue Auseinandersetzung mit der Gefahrenprognose des Gutachters fehlte. Das Gericht hätte die Gründe für seine vom Sachverständigengutachten abweichende Meinung nachvollziehbar ausführen müssen. Das galt umso mehr, als das Landgericht in seinen Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten die Möglichkeit weiterer Straftaten aufgrund devianter Sexualimpulse bekräftigt hatte.
In Bezug auf die Schuldfähigkeit hatte sich das Landgericht dem Gutachter angeschlossen. Dieser sah beim Angeklagten aufgrund von Pädophilie eine verminderte Schuldfähigkeit. Doch auch diesen Teil des Urteils hob der BGH auf.
Der sechste Senat räumte ein, dass Pädophilie in Einzelfällen als „schwere andere seelische Störung“ im Sinne von § 20 StGB die Schuldfähigkeit vermindern kann. Dazu müssen die pädophilen Impulse die Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich beeinträchtigen. Die entsprechenden Sexualpraktiken müssen „zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone“ geworden sein, die zu einer „gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktiken“ führen. Eine derart nachhaltige Störung des Angeklagten in Form eines „mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwangs“ ergab sich aus der Urteilsbegründung nicht. Vielmehr wies der BGH darauf hin, dass der Mann vor dem Missbrauch der Kinder nie einschlägig straffällig geworden war und zahlreiche sexuelle Kontakte zu erwachsenen Frauen pflegte. Er hatte sein Sexualverhalten offenbar lange Zeit unter Kontrolle.
Der Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft richtete sich zwar gegen den nicht verhängten Vorbehalt der Sicherungsverwahrung, nicht aber gegen die vom Landgericht ebenfalls ausgeschlossene direkte Anordnung der Sicherungsverwahrung. Weil dieser Teil des ursprünglichen Urteils nicht angegriffen worden war, erlangte er Teilrechtskraft. Die Neuverhandlung kann nur noch zum Vorbehalt der Sicherungsverwahrung führen, d. h. zur Möglichkeit, zum Ende der Haftstrafe über die anschließende Sicherungsverwahrung zu entscheiden.
Das Urteil zeigt, dass eine fachärztlich attestierte Pädophilie durchaus die Schuldfähigkeit mindern kann. In der Folge stehen allerdings schnell die Sicherungsverwahrung oder die Anordnung einer psychiatrischen Behandlung im Raum. Auch deshalb erfordert Strafverteidigung gegen eine Anklage wegen Kindesmissbrauchs oder Kinderpornografie eine durchdachte strategische Planung.
Dieter Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat bereits Hunderte von Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und verfügt über große Erfahrung im Sexualstrafrecht.