Dieter Axmann
Fachanwalt & Strafverteidiger
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44139 Dortmund
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Das Strafgesetzbuch stellt Straftätern die Möglichkeit einer niedrigeren Strafe in Aussicht, wenn sie aktiv auf einen Ausgleich mit dem Opfer der Straftat hinarbeiten und Wiedergutmachung leisten. Die Regelung im Strafgesetzbuch lautet wörtlich:
§ 46a Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung
Hat der Täter
1. in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt, so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.
Die Gesetzesbestimmung enthält also zwei potenzielle Wege zur Strafminderung:
Das Bild vom Straftäter, der jegliche Auseinandersetzung mit seiner Tat verweigert, trifft selten die Wahrheit. Als Strafverteidiger habe ich jeden Tag mit Menschen zu tun, die damit zurechtkommen müssen, dass sie eine Straftat begangen haben. Aus Erfahrung weiß ich: Viele Täter bereuen ihr Handeln wirklich und wollen es nach Möglichkeit wiedergutmachen: durch ein Geständnis, durch ehrliche Entschuldigungen und mit bereitwillig geleisteten Zahlungen.
Die Gegenseite lehnt einen Täter-Opfer-Ausgleich jedoch oft ab. Das Argument: „Der Angeklagte soll sich keine Strafmilderung erkaufen können“ wird für mich als Strafverteidiger allerdings fragwürdig, wenn die gleichen Nebenklagevertreter später auf Grundlage eines Strafurteils Schmerzensgeldansprüche einklagen. Für Geschädigte bedeutet jedes zusätzliche Verfahren eine erneute Auseinandersetzung mit der erlebten Tat. Dabei ist es für sie wichtig, mit dem Erlebten abschließen zu können.
Die zusätzliche Belastung lässt sich durch ein Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren im Rahmen des Strafverfahrens oder davor vermeiden. Als Strafverteidiger habe ich sehr oft erlebt, dass ein Täter-Opfer-Ausgleich auch den Geschädigten große Erleichterung brachte.
Im Idealfall führt der Täter-Opfer-Ausgleich neben Ausgleichszahlungen für die körperlichen und psychischen Schäden auch zu einer persönlichen Entschuldigung. Wenn Opfer erleben, dass der Täter seine Tat glaubhaft bereut und nach Kräften wiedergutmachen möchte, hilft ihnen das, mit dem Erlebten abzuschließen. Das ist meine Erfahrung als Fachanwalt für Strafrecht.
Genau aus diesem Grund wurde der Täter-Opfer-Ausgleich nicht nur im Strafgesetzbuch verankert, sondern auch in der Strafprozessordnung. Der § 155a StPO verpflichtet Staatsanwaltschaft und Gericht, in geeigneten Fällen die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu prüfen.
Das Strafgesetzbuch honoriert in § 46a die Bemühungen des Täters um eine Wiedergutmachung. Ein solches Verhalten nach der Tat kann der Grund für eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB sein. Kann – denn die Entscheidung bleibt dem Gericht überlassen. Die Strafmilderung ist keineswegs zwingend.
Das Gesetz fordert das Bemühen um Ausgleich als Voraussetzung einer möglichen Strafmilderung. Daraus hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer stattfinden muss. Der erste Strafsenat des BGH fasste es 2002 so zusammen: „Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht.“ (So: BGH 1 StR 79/02 - 12. Juni 2002)
Eine direkte Kommunikation zwischen Opfer und Täter ist jedoch nicht erforderlich. § 155b StPO ermöglicht explizit die Vermittlung, etwa durch Experten für Konfliktschlichtung. Damit lassen sich traumatisierte Opfer, für die ein direkter Austausch belastend wäre, im Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren schützen.
Der BGH musste über einen Fall entscheiden, in dem der Täter sich umfassend um einen Ausgleich mit dem minderjährigen Opfer bemüht hatte. Er hatte seine Taten gestanden, seine Reue in einem Brief ausgedrückt, von sich aus 10.000 Euro als Schmerzensgeld und Entschädigung gezahlt und in die Übernahme aller durch die Tat entstandenen Schäden eingewilligt. Dazu schloss der Angeklagte mit den Eltern des Opfers einen Vergleich, dieses selbst schwieg dazu.
Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, nachdem das Landgericht Hannover von einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich ausging. Sie monierte, es habe keinen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer gegeben. Der BGH ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Er hob hervor, dass der Täter Verantwortung für seine Taten übernahm, und ging von einem „indirekten Kontakt“ zwischen Angeklagtem und Geschädigter aus, vermittelt durch die Eltern (BGH, Beschluss vom 24. 08. 2017 - 3 StR 233/17).
Der BGH musste entscheiden, ob das Landgericht Saarbrücken das Vorliegen eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu Recht angenommen hatte. Es gab einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, der Täter hatte Reue gezeigt und ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft wandte sich jedoch dagegen, dass der Täter sich zu einem Schmerzensgeld von 70.000 Euro verpflichtet hatte, die monatlichen Raten aber nur 200 Euro betrugen. Ein vollständiges Abzahlen der Summe sei nicht zu erwarten. Die Nebenklägerin war eine pflegebedürftige ältere Frau.
Der BGH verwies darauf, dass die Geschädigte die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten kannte und den Vergleich als friedensstiftenden Ausgleich abschloss. Ihr war bewusst, dass die Höhe des Schmerzensgeldes vor allem symbolisch war (BGH Beschluss vom 29.4.2021 - 5 StR 498/20).
In einem dritten Fall verneinte der BGH den erfolgreichen Abschluss eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Anwälte beider Seiten hatten eine als „Täter-Opfer-Ausgleich“ betitelte Vereinbarung unterzeichnet. Sie sah die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 DM sowie die Übernahme von Behandlungs- und Rechtskosten vor. Nach Auffassung des BGH hatte die Geschädigte der Vereinbarung nur aufgrund ihrer finanziellen Notlage zugestimmt. Er sah keine friedensstiftende Wirkung. (BGH Beschluss vom 31.5.2002 - 2 StR 73/02).
Was ist, wenn der oder die Geschädigte die Teilnahme am kommunikativen Ausgleichsprozess verweigert, obwohl der Täter seine Reue durch friedensstiftende Leistungen – ein Geständnis, eine Entschuldigung, angemessene Zahlungen zur Wiedergutmachung – untermauern möchte?
Kann das ernsthafte Erstreben, das § 46a Nr. 1 StGB fordert, auch dann vorliegen, wenn das Opfer nicht mit sich reden lässt? Der dritte Strafsenat des BGH erteilte dem in der bereits erwähnten Entscheidung (Beschluss vom 24. 08. 2017 - 3 StR 233/17) eine klare Absage:
„Demnach ist ein kommunikativer Prozess grundsätzlich auch erforderlich, soweit es § 46a Nr.1 StGB genügen lässt, dass der Täter die Wiedergutmachung seiner Tat ernsthaft erstrebt. … Lässt sich der Verletzte auf einen kommunikativen Prozess nicht ein, so hat dies der Täter – trotz der herabgesetzten Anforderungen an einen erfolgreichen Ausgleich – prinzipiell hinzunehmen; denn ohne Zustimmung des Opfers fehlt bereits die Basis für seine Bemühungen. … Gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung des Verfahrens für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs – zumindest im Grundsatz – nicht angenommen werden.“
Und weiter aus der gleichen Urteilsbegründung:
„Im Hinblick auf Erfolg oder Misserfolg des Täter-Opfer-Ausgleichs sind dabei insbesondere ein Wille des Verletzten zur Versöhnung und eine für ihn erzielte Genugtuung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, a. a. O., S. 140 mwN).“
Aufgrund der BGH-Rechtsprechung haben Täter selbst bei größter Wiedergutmachungsanstrengung oft keine Aussicht auf Strafmilderung. Sicher, ohne den Versuch, das Opfer einzubeziehen, reicht ein einseitiges Streben nach Wiedergutmachung nicht aus. Doch warum wird die Strafmilderung auch dann versagt, wenn der oder die Geschädigte sich allen Bemühungen des Täters zum Herstellen des Rechtsfriedens verweigert? Das ist für mich als Strafverteidigers nicht nachvollziehbar.
So gesehen ist es erfreulich, dass der BGH zum Täter-Opfer-Ausgleich auch folgende Aussage trifft: „Regelmäßig sind dazu Feststellungen erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat.“ (so: BGH, Beschluss vom 04.09.2004 – 4 StR 199/04). Dieses Zitat wird in der einschlägigen Literatur als Beispiel dafür zitiert, dass in Ausnahmefällen die Leistung des Täters trotz Weigerung des Opfers als friedensstiftend zu akzeptieren sei und dem Täter eine Strafmilderung nach § 46a StGB ermöglichen soll (so: Fischer, Kommentar zum StGB, 68. Aufl. 2001 § 46a StGB Rdn.18f.).
Erfreulich liest sich auch folgendes Zitat aus einer weiteren Revisionsentscheidung (BGH, Urteil vom 31.05.2002 - 2 StR 73/02):
„Allerdings kann die fehlende Einwilligung des Opfers im Rahmen des § 46 a Nr. 1 StGB dann unerheblich sein, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt hat. Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll demnach nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Verweigerung der Mitwirkung durch das Opfer oder bei Eintritt eines hohen Schadens durch relativ geringes Verschulden. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21).“
(Hervorhebungen durch den Autor)
Der Verweis auf die Begründung des historischen Gesetzgebers zur Einführung des § 46a StGB im Jahr 1994 bringt entscheidendes Licht ins Dunkel. Sie enthält zwar den Hinweis, dass „nicht jede Form des Schadensausgleichs ausnahmslos und ohne Rücksicht auf den Einzelfall dem Täter zugute“ kommen sollte. Gleichwohl sollte dieser „auch in Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre“, von der neuen Regelung profitieren können, darunter auch bei fehlender Bereitschaft auf der anderen Seite:
„Zu denken wäre etwa an Konstellationen, in denen die Geschädigten eine für einen Ausgleich erforderliche Mitwirkung verweigern“ (Hervorhebung durch den Autor). Entscheidend ist gemäß der Begründung des Gesetzgebers das Bemühen des Täters um einen Ausgleich. Das Erfordernis eines kommunikativen Prozesses, wie ihn die Rechtsprechung immer wieder fordert, findet man hier nicht.
Nimmt man die Begründung des historischen Gesetzgebers ernst, bleibt nur eine Lesart: Täter, die sich ernsthaft um eine Wiedergutmachung bemühen, können von der Strafmilderung auch dann profitieren, wenn Geschädigte einen kommunikativen Prozess verweigern.
Leider findet das vom historischen Gesetzgeber bezweckte Verständnis von „oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt“ im § 46a StGB kaum Resonanz, weder bei den Tatgerichten noch bei den Revisionsinstanzen. Das ist nicht nur aus meiner Sicht als Strafverteidiger inakzeptabel. Es widerspricht auch dem Sinn der gesetzlichen Regelung.
Mit der Einführung des § 46a StGB wurde der Täter-Opfer-Ausgleich auch als Motivation für Ausgleichsbemühungen des Täters gestaltet. Es ist ein Hauptzweck staatlicher Strafgerichtsbarkeit, Täter zur Übernahme von Verantwortung für strafbares Handeln zu bringen und sie zur Anerkennung der Verletzung des Opfers zu bewegen. Dies dient der Wiederherstellung des Rechtsfriedens und leitet den Straftäter dazu an, wieder gesetzesgeleitetet und verantwortlich zu handeln. Die Ernsthaftigkeit des Strebens nach Ausgleich muss streng geprüft werden, das liegt auf der Hand. Der Gesetzgeber wollte aber nicht, dass selbst bei größter Aufrichtigkeit und Leistungsbereitschaft allein die Haltung des Geschädigten über die strafmildernde Wirkung der Ausgleichsbemühungen entscheidet.
Sind Sie Angeklagter oder Beschuldigter einer Straftat? Wollen Sie sich entschuldigen, um Wiedergutmachung bemühen und für das Unrecht der Tat einstehen? Lassen Sie sich von einem Fachanwalt für Strafrecht beraten, der auch im Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren versiert ist.
Rechtsanwalt Dieter Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat Mandanten gegen strafrechtliche Vorwürfe aller Art verteidigt und verfügt über große Erfahrung als Strafverteidiger.